Was trägt?

Mein Glaube ist ein Drahtseilakt. Was mich trägt, ist ein dünner Faden Hoffnung.

 

Man kennt die Nummer aus dem Zirkus: jemand läuft vorsichtig über ein dünnes Drahtseil. Um nicht abzustürzen, hält er sich mit einer Stange im Gleichgewicht. Schon die kleinste falsche Bewegung hätte Konsequenzen.
Im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet die Redewendung „einen Drahtseilakt vollführen“ eine schwierige Aufgabe oder eine riskante Sache tun. Es gilt, die Balance zwischen zwei Extremen zu halten.

 

Glauben kann man durchaus als schwierige Aufgabe bezeichnen: von der Möglichkeit der Existenz Gottes auszugehen, gar mit ihr zu rechnen, steht konträr zum Zeitgeist, der in vielen Bereichen von Objektivismus, Wissenschaftshörigkeit und menschlichem Machbarkeitswahn geprägt ist.

Glauben ist auch eine riskante Sache. Er beruht auf eben Nicht-Wissen, auf Nur-Vertrauen-Können, mit dem Risiko der Ent-Täuschung. Es kann auch riskant sein, sich als gläubiger Mensch zu outen. Schnell erntet man dann irritierte bis abfällige Blicke und wird als Spinner, weltfremd oder Fanatiker abgetan. Wer glaubt, riskiert in weiten Teilen unserer Gesellschaft Aus- und Abgrenzung.

 

Mein Glaube ist ein Drahtseilakt zwischen den Extremen Vertrauen und Hoffnung auf der einen und Anfechtung und Zweifel auf der anderen Seite. Beides birgt die Gefahr des Absturzes: hier die von Weltflucht und Ideologie, dort die von Glaubensverlust und innerer Leere.

 

Alles, was ich habe, ist eine Balancestange, die mir hilft, mich langsam, Schritt für Schritt über das Seil meines Lebens zu bewegen — von fast tanzend in Leichtigkeit bis schwankend kurz vor dem Sturz. Meine Balancestange ist die ignatianische Unterscheidung der Geister. Es ist die regelmäßige Kontrollfrage, ob mich etwas mehr zum Trost führt — gemeint sind Offenheit, Liebe, Toleranz, Herzenswärme, Güte, und was mich zum Misstrost bring — also zu Härte, Verurteilung, Neid, Überheblichkeit, Trauer.

Immer wieder bin ich schon und werde ich noch aus der Balance geraten: von einem zarten Lüftchen des Mitgefühls bei Unrecht bewegt, vom Gegenwind aktueller Themen in Kirche und Gesellschaft angeblasen und von Stürmen des Zweifelns und Nicht-Glauben-Könnens geschüttelt. 

 

Was mich trägt, ist der dünner Faden Hoffnung, dass da ein Netz ist, wenn ich falle …

 

 

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